Neue Forschungsgruppe DFG 5581
Evolution of life histories in early tetrapods
Eine neue Forschungsgruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft wurde im März 2024 bewilligt. Sie umfasst 6 Projekte, 10 promovierte Forschende und mehrere Doktorandenstellen. Diese werden in Kürze ausgeschrieben.
Sitz der Forschungsgruppe ist das Fachgebiet Paläontologie an der Universität Hohenheim und dem Naturkundemuseum.
Sprecher: Prof. Dr. Rainer Schoch
Beteiligte Institutionen: Universität Hohenheim, Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart, Universität Mainz, Universität Bonn, Museum für Naturkunde Berlin.
Die ersten Wirbeltiere, die das Land besiedelten, lebten vor rund 360 Mio. Jahren. Zahlreiche Fossilfunde haben in den letzten Jahrzehnten unser Bild dieses „Landgangs“ vervollständigt. Allerdings konzentrierte sich die Forschung bisher auf wenige, meist erwachsene Skelette. In unserer Forschungsgruppe nehmen wir eine neue Perspektive ein: Wir untersuchen den gesamten Lebenszyklus dieser Arten, vom Schlüpfen aus dem Ei über die Larvalzeit und Metamorphose bis zum erwachsenen Tier. Dies wird möglich durch die Analyse von Feinstrukturen in den fossilen Knochen, die viele Lebensdaten liefern. Mit diesem Knochenarchiv lassen sich Fragen beantworten, die lange außer Reichweite geblieben waren.
Das Ziel unserer Projekte ist das Verständnis von Life Histories (Lebensgeschichten), also der Zusamenhang zwischen Körpergröße, Entwicklungsrate, Geschlechtsreife, Nachkommenzahl und Lebensspanne einer Art, die alle durch die natürliche Auslese gesteuert werden. Unsere Forschung beleuchtet die evolutionären Strategien, welche die Vielfalt heutiger Lebenszyklen etwa bei Fröschen, Echsen, Vögeln und Säugetieren hervorgebracht haben.
FOR 5581 umfasst sechs Projekte, welche die Evolution von Lebensgeschichten früher Landwirbeltiere aus verschiedenen Perspektiven beleuchten soll. Sie integrieren erstmals Anatomie, Mikroanatomie, Knochenhistologie, Phylogenie, Funktions-morphologie und Physiologie. Das Ziel ist, diese Daten in einem umfassenden evolutionären Szenario zusammen zu beleuchten.
NEUE GRABUNGEN 2024
Derzeit laufen wissenschaftliche Grabungen und Prospektionen an mehreren Orten. Ziel ist die Gewinnung neuer Daten über Fossillagerstätten des Unteren Keupers (240 Millionen Jahre alt, Mitteltrias). Ergraben werden Ablagerungen von Süßwasserseen im Raum Hohenlohe und Umgebung. Neben Skelettresten von Fischen, Amphibien und Reptilien erbrachten die jüngsten Grabungen auch wichtige Hinweise auf klimatische Schwankungen und rhythmische Ablagerungen im damals subtropischen Süddeutschland. Die Mitteltrias war eine Zeitspanne unmittelbar vor der Entstehung der Dinosaurier und Säugetiere. Die Grabungen in Baden-Württemberg haben in den letzten 20 Jahren viele neue Arten von Amphibien und Reptilien geliefert, darunter Vorfahren heutiger Echsen und Krokodile sowie die ältesten Nachweise weltweit für die Brückenechsen und Schildkröten. Das allgemeine Ziel unserer Forschungen liegt auf dem Verständnis der Ökosysteme und ihres Wandels durch die Mittel- und Obertrias.
Trossingen: Habitat früher Dinosaurier
Grabung in Juni 2023 Die Trias (252-201 Mio. Jahre) war eine entscheidende Periode in der Erdgeschichte. Neben den Säugetieren, Schildkröten und Krokodilen entstanden in dieser Zeitspanne – genauer vor etwa 220 Mio. Jahren – auch die Dinosaurier. In Süddeutschland fanden sich frühe Dinosaurier an vielen Stellen, doch ein Fundpunkt sticht heraus: die „Rutschete“ an der Oberen Mühle bei Trossingen. Bereits um 1908 von spielenden Kindern entdeckt, wurden an dem 60 m breiten und 12 m tiefen Hang mehrere sehr ergiebige Grabungen durchgeführt. Die zähen, violettbraunen Knollenmergel enthalten dort nämlich zahlreiche Skelette des Dinosauriers Plateosaurus trossingensis, der eine Länge zwischen 5 und 8 m erreichte. Die mutmaßlichen Pflanzenfresser zählen zu den häufigsten Funden in diesem 205 Mio. Jahre alten Gestein, das in einer ausgedehnten Tonschlammebene abgelagert wurde. Die historischen Grabungen von Eberhard Fraas (1911-13), Friedrich von Huene (1922-23) und Reinhold Seeman (1932) förderten in Trossingen insgesamt rund 80 Skelette zutage, von denen der größte Teil im Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart aufbewahrt wird. Daneben lagern auch Skelette in Tübingen, New York und an der Harvard University. Vieles hat man aus diesen Funden gelernt: Die Anatomie der frühen Riesen, ihre mutmaßliche Fortbewegung und zuletzt konnte man ihnen auch noch ihre tief in den Knochen verborgenen Lebensdaten entlocken: ihr Lebensalter, die Wachstumsrate und Geschlechtsreife sind nach Jahrhzehnten der Spekulation zum Gegenstand konkreter Forschung geworden. Längst erlauben es uns nämlich neue Methoden wie die Knochenhistologie und Computertomografie, tief in die Mikrostruktur fossiler Knochen zu schauen, wo wahre Archive an biologischen Daten auf Entschlüsselung warten. Vieles ist aber auch noch unbekannt, und so läuft bei uns am Museum in Zusammenarbeit mit der Universität Hohenheim eine Doktorarbeit über die Evolution von Plateosaurus am Beispiel der Trossinger Funde. Joep Schaeffer hat in den letzten Jahren den Holotypus – das in Fachkreisen berühmte wissenschaftliche Referenzexemplar mit der Nummer 13200 – in großem Detail untersucht und schafft damit einen neuen Standard, der für künftige Vergleiche von Dinosaurierskeletten einen Meilenstein bilden wird. Die Knollenmergel, in denen die Skelette lagern, haben ebenfalls das Interesse unserer Paläontologen geweckt: Was sagen sie über den Lebensraum der Plateosaurier aus, wie sah die Landschaft aus, und warum kamen so viele von ihnen gerade in Trossingen zu Tode? Unsere Mitarbeiter Dr. Eudald Mujal und Dr. Orla Bath Enright untersuchen die reichen Fossillagerstätten Baden-Württembergs, und so hat auch Trossingen ihr Interesse geweckt. Fossillagerstätten sind eigentlich Gesteinschichten, die zumeist regional oder lokal außergewöhnlich reich an Fossilien sind oder aber besonders gut konservierte organische Reste enthalten. Trossingen bildet in diesem Forschungsprogramm eine besondere Herausforderung, denn die Größendimension der Lagerstätte ist sehr ungewöhnlich. Die Funde sind dort ja nicht in wenigen Zentimeter dicken Lagen angereichert, und ihre Erhaltung ist auch nicht immer beeindruckend, denn die Knochen sind meist von zahllosen Rissen durchzogen und manche Skelette lagen bereits in der Trias-Zeit jahrelang offen herum, wodurch sie teilweise verwitterten. Das Besondere an Trossingen ist die Massenanreicherung von Skeletten im Zehnermeterbereich, ohne dass man am Gestein erkennen könnte, wie weit entfernt das nächste Skelett zu erwarten ist. Ein Rätsel also, das es zu klären gilt. Wenn man an der Rutschete gräbt, kann die Montonie der bröckeligen, meist völlig fossilleeren Mergel sehr entmutigend wirken. Nicht wenige Helfer, die begeistert bei unseren Grabungen mithalfen, kamen im darauffolgenden Jahr nicht wieder. Man braucht also einen langen Atem, darf sich nicht durch Flauten frustrieren und den buchstäblich steinigen Weg abschrecken lassen. Das ist leichter gesagt, als getan: Das Graben mit Hacke und Pickel macht zunächst Spaß, aber nach einigen Stunden schmerzt jeder Muskel und am Abend ist man völlig erschöpft. So waren wir sehr froh, dieses Jahr – unterstützt vom Förderverein des Museums – mit einem großen Team von 20 Personen der Rutschete auf den Leib rücken zu können. Zum erstenmal in 115 Jahren Grabungsgeschichte kamen auch mehrere Bagger zum Einsatz, die direkt beim Abbau eingesetzt wurden. Erschwinglich wurde das ganze nur, weil einige Mitarbeiter*innen das Steuern der schweren Maschinen rasch erlernten und immer zielgenauer einzusetzen wussten. Drei Wochen lang konnten wir auf bis zu vier Terrassen die Gesteinsschichten abbauen, und dabei wurden neben neuen Skelettresten vor allem spannende geologische Befunde angetroffen und dokumentiert. Für mich war es ein besonderes Erlebnis, dass Forschende aus bis zu 12 verschiedenen Ländern mitgruben und ihre Kenntnisse mit einbrachten. Unsere Präparator*innen Isabell Rosin, Lucrezia Ferrari und Andreas Radecker machten die Bergung der Funde durch ihre langjährige technische Erfahrung erst möglich. Manche Skelette waren durch Schlammströme zerlegt und transportiert worden, andere waren in kleine Bruchstücke zerbröselt und kamen nach saisonalen Starkregen in Trockentälern zur Ablagerung. Und natürlich fanden sich auch wieder die gut erhaltenen dreidimensionalen Knochen, welche die Fundstelle berühmt gemacht haben. Nun wurde auch klar, dass manche Tiere in einer Position der Ruhe starben, während andere erst nach einem erfolglosen Kampf gegen den zähen Schlamm an Erschöpfung verendeten. Skelette, die nicht tief genug im Ton eingebettet waren, wurden durch regelmäßige Monsunregen wieder freigespült und allmählich in alle Richtungen verstreut. So boten die neuen Erkenntnisse den Anreiz, das alte Grabungstagebuch von Dr. Seemann zu konsultieren und mit den neuen Befunden zu vergleichen. Dies ist nämlich eine weitere Besonderheit unserer Grabungen: Sie können die detaillierte Fundkarte unserer Vorgänger ergänzen und fortlaufend erweitern, so dass man ein ständig wachsendes dreidimensionales Bild der gigantischen Grabstätte erhält. Als sehr hilfreich erwies sich dabei der Einsatz einer Drohne, die das Gelände und alle neuen Funde exakt vermessen kann. Die bereits seit Professor von Huene bekannten, drei mächtigen Fundschichten können nun endlich mit neuesten geologischen Methoden eingehend untersucht werden. Dazu wurden viele Gesteinsproben zur Weiterverarbeitung im Labor entnommen. Die 12 m Knollenmergel enthalten nämlich zahlreiche Lagen von Tonschlamm, der in einem überwiegend trockenen und heißen Klima in feinen Schichten abgesetzt wurde. Doch diese Schlämme unterscheiden sich von Meter zu Meter, und so konnten wir in den fossilreichsten Schichten, in denen über 60 Skelette zutage gekommen waren, Hinweise auf ein feuchte und dicht bewachsene Landschaft finden. Lange fossile Wurzeln zeugen von der Vegetation, und stark durchwalkte Tonschichten belegen häufiges Durchfeuchten und Austrocknen. Erstmals konnten wir dieses Jahr wieder diese tiefste Schicht erreichen und abbauen, die zum letztenmal 1932 offen gelegen hatte. In den drei Meter mächtigen Schichten darüber, die nur wenige Skelette enthalten, häufen sich Belege für viel trockenere Bedingungen, mit stärkerem Relief, in welchem die seltenen Regenfälle metertiefe Rinnen und Wadis hinterließen. Im Tonboden wuchsen bis 20 cm große Knollen – namensgebend für den Knollenmergel – und diese zeigen uns, dass sehr viel mehr geologische Zeit in den Schichten stecken dürfte, als lange vermutet worden war: Zehntausende Jahre benötigen solche Knollen in entsprechendem Klima, um auf die Größe zu wachsen. Die sieben Meter dicken violetten Schichten darüber wurden in einem wieder feuchteren Klima abgelagert und führen erneut mehr Skelette und fossile Wurzeln, doch müssen hier die Kadaver länger herumgelegen haben, also vermutlich war die jährliche Sedimentfracht geringer. Die Trossinger Saurierfundstelle ist damit nicht nur ein riesiges Massengrab, das wir mit immer verfeinerteren Methoden zu entschlüsseln versuchen. Das ganze Profil enthält zugleich ein Klimaarchiv, das rund eine Million Jahre urzeitlicher Heimatgeschichte dokumentiert. Es zeugt von einem zeitlich fernen Baden-Württemberg auf einem viel wärmeren Planeten, das von den ersten großen pflanzenfressenden Dinosauriern bevölkert wurde, die man fast auf der ganzen Welt finden kann, weil sie auf dem riesigen Superkontinent ohne größere Barrieren umherwandern konnten.