Forschungsprojekte

Forschungsschwerpunkte und Fragestellungen

Unsere Forschung befasst sich mit der Evolutionsgeschichte früher Amphibien und Reptilien. Im Vordergrund stehen Stammesgeschichte (Phylogenie), fossile Daten über die Entwicklung des Einzeltieres (Ontogenie) und die Analyse ihres Zusammenwirkens (evolutionäre Szenarien). Daneben werden auch die Lebensräume einzelner Faunen erforscht, ausgehend von exemplarischen Fossillagerstätten. Dazu werden regelmäßig wissenschaftliche Grabungen durchgeführt.

Untersucht werden folgende Themenschwerpunkte:

1. Landgang der Wirbeltiere: Wie und wo lebten die ersten Tetrapoden?

2. Evolution der Amphibien: Wie entstand die Metamorphose?

3. Evolution der Landwirbeltiere nach der Perm-Trias Klimakatastrophe

4. Archosaurier: Wie lebten die Vorfahren der Krokodile und Dinosaurier?

5. Entstehung der Schildkröten: Wie entwickelte sich der Panzer?

Neue Forschungsgruppe DFG 5581

Evolution of life histories in early tetrapods

Eine neue Forschungsgruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft wurde im März 2024 bewilligt. Sie umfasst 6 Projekte, 10 promovierte Forschende und mehrere Doktorandenstellen. Diese werden in Kürze ausgeschrieben.

Sitz der Forschungsgruppe ist das Fachgebiet Paläontologie an der Universität Hohenheim und dem Naturkundemuseum.

Sprecher: Prof. Dr. Rainer Schoch

Beteiligte Institutionen: Universität Hohenheim, Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart, Universität Mainz, Universität Bonn, Museum für Naturkunde Berlin. 

Die ersten Wirbeltiere, die das Land besiedelten, lebten vor rund 360 Mio. Jahren. Zahlreiche Fossilfunde haben in den letzten Jahrzehnten unser Bild dieses „Landgangs“ vervollständigt. Allerdings konzentrierte sich die Forschung bisher auf wenige, meist erwachsene Skelette. In unserer Forschungsgruppe nehmen wir eine neue Perspektive ein: Wir untersuchen den gesamten Lebenszyklus dieser Arten, vom Schlüpfen aus dem Ei über die Larvalzeit und Metamorphose bis zum erwachsenen Tier. Dies wird möglich durch die Analyse von Feinstrukturen in den fossilen Knochen, die viele Lebensdaten liefern. Mit diesem Knochenarchiv lassen sich Fragen beantworten, die lange außer Reichweite geblieben waren.

Das Ziel unserer Projekte ist das Verständnis von Life Histories (Lebensgeschichten), also der Zusamenhang zwischen Körpergröße, Entwicklungsrate, Geschlechtsreife, Nachkommenzahl und Lebensspanne einer Art, die alle durch die natürliche Auslese gesteuert werden. Unsere Forschung beleuchtet die evolutionären Strategien, welche die Vielfalt heutiger Lebenszyklen etwa bei Fröschen, Echsen, Vögeln und Säugetieren hervorgebracht haben. 

FOR 5581 umfasst sechs Projekte, welche die Evolution von Lebensgeschichten früher Landwirbeltiere aus verschiedenen Perspektiven beleuchten soll. Sie integrieren erstmals Anatomie, Mikroanatomie, Knochenhistologie, Phylogenie, Funktions-morphologie und Physiologie. Das Ziel ist, diese Daten in einem umfassenden evolutionären Szenario zusammen zu beleuchten. 

Erholung der Landwirbeltiere nach der Perm-Trias Klimakatastrophe

Nach dem verheerenden Artensterben an der Perm-Trias-Grenze (vor 252 Mio. Jahren) begann für viele Landwirbeltiere eine neue Ära. In Deutschland wurde zu dieser Zeit der BUNTSANDSTEIN abgelagert - bekannt durch seine roten Farbtöne, findet man dieses Gestein in vielen historischen Gebäuden verwendet. Wie sah die Lebewelt nach der Klimakatastrophe aus? Darüber geben Fossilfunde aus dem Schwarzwald Aufschluss. Die roten Sandsteine lagerten sich in Flussschottern und Überschwemmungsflächen ab, und an einigen Stellen fanden sich Skelette der Fluss- und Uferbewohner. In der allgemein trockenen Landschaft konzentrierte sich das Leben auf die dicht bewachsenen Ränder verschiedenster Flüsse, und im Elsass bildete sich ein großes Delta, das von größeren Wäldern gesäumt wurde.

Wir erforschen die Funde aus dem Schwarzwald und den Vogesen in einer internationalen Gruppe von Geologen und Paläontologen, und dabei interessiert uns die einzelne Amphibien- oder Reptilart ebenso wie das jeweilige Ökosystem. Neben Flussbewohnern, die zahlreiche Saurierfährten hinterließen, fanden wir auch Hinweise auf größere Pflanzenfresser (Rhynchosaurier) und Fleischfresser (Archosaurier). In den fossilen Waldökosystemen des Elsass schließlich konnten wir kletternde und baumbewohnende Reptilien nachweisen.

Evolution der Landwirbeltiere in der Mittleren Trias (vor 240 Mio. Jahren)

Rund zwölf Millionen Jahre nach der Klimakatastrophe war Deutschland von einem gewaltigen Delta bedeckt, das vom Baltikum in die Nordschweiz reichte. Zwischen breiten Flussarmen müssen zahllose kleinere und größere Seen existiert haben. Diese Gesteinsformation nennen wir UNTERER KEUPER (Lettenkeuper). Viele dieser Seeablagerungen sind in Steinbrüchen erkennbar und werden seit 200 Jahren nach Fossilien abgesucht. Gefunden werden neben den Wasserbewohnern (Muscheln, Muschelkrebse, Fische, Amphibien) auch immer wieder Landtiere (Reptilien), die vom Ufer her eingetragen wurden oder einem der großen amphibischen Jäger zum Opfer fielen.

Die aquatische Fauna bestand aus 10-15 Arten von Haien und Knochenfischen, mehreren riesenwüchsigen Amphibien (>2 m Länge), von denen der über 5 m lange Mastodonsaurus an der Spitze der Nahrungspyramide stand. Inzwischen wurden auch mehrere noch unbekannte Wasserreptilien entdeckt.

Unerwartet war die Entdeckung einer ganzen Landfauna, bestehend aus urtümlichen Insektenfressern wie Parareptilien und frühen Verwandten der heutigen Echsen, der ältesten Brückenechse der Welt, der urtümlichen Schildkröte Pappochelys, dem Fischfresser Jaxtasuchus, dem mutmaßlichen Pflanzenfresser Polymorphodon bis hin zum 6 m langen Spitzenprädator Batrachotomus – daneben war das nur wenige Zentimeter lange Ur-Säugetier Nanogomphodon kaum erkennbar.

Die Faunen der Mittleren Trias von Württemberg sind in ihrer Artenvielfalt und Formenfülle einmalig für diese Zeitspanne und haben viele neue Erkenntnisse zur Evolution der Landwirbeltiere vor den Dinosauriern erbracht, ebenso liefern sie aber auch Einblicke in die Ökosysteme im subtropischen Deutschland vor 240 Mio. Jahren, das am Rande eines riesigen warmen Ozeans lag, der Tethys.

 

Urschildkröte Pappochelys: Die Entstehung der Schildkröten

Die Grabungen im UNTEREN KEUPER bei Vellberg erbrachten neben vielen anderen Reptilien auch Funde der ältesten und ursprünglichsten Urschildkröte, Pappochelys rosinae. Sie wurde 2015 in der Fachzeitschrift Nature benannt (Schoch & Sues 2015) und wenig später monographisch beschrieben (Schoch & Sues 2017). Insgesamt fanden sich 18 Skelettreste der rund 30 cm langen Tiere, die einer stämmigen Echse glichen. Der Schädelbau von Pappochelys weist zwei Schläfenfenster auf und belegte erstmals direkt, dass Schildkröten von diapsiden Reptilien abstammen. Ein knöcherner Panzer war nur in Ansätzen entwickelt: die Rippen waren bereits leicht dachartig verbreitert und im Bauch waren verdickte und seitlich verzweigte Gastralia vorhanden, aus denen später der knöcherne Bauchpanzer (Plastron) entstanden sein muss. Pappochelys bildet nun zusammen mit den etwas jüngeren Urschildkröten aus China, Eorhynchochelys und Odontochelys, eine Reihe zunehmend schildkrötenähnlicher Reptilien.

Lebensräume der frühen Dinosaurier (vor 205 Mio. Jahren)

In Trossingen, Kreis Tuttlingen, entdeckten spielende Kinder um 1908 fossile Knochen, als sie einen Abhang herunterrutschten. In dem bröseligen rosabraunen Gestein (KNOLLENMERGEL) waren die Knochen aufgrund ihrer blauen Farbe gut erkennbar. Der Lehrer der Kinder verständigte den Paläontologen Eberhard Fraas, der 1911-12 eine Grabung durchführte, bei der mehrere Skelette des 6 m langen pflanzenfressenden Dinosauriers Plateosaurus gefunden wurden. Professor Friedrich von Huene (Tübingen) grub danach (1922-23) mit einer Gruppe Studenten weitere Skelette aus, die teilweise dem Geldgeber am American Museum in New York überlassen wurden. Mit einem gewaltigen Team von bis zu 27 Personen baute schließlich Reinhold Seemann 1932 einen Teil des Berges ab, um 65 weitere Skelette freizulegen, darunter drei Panzer der großen Schildkröte Proganochelys. Diese Funde werden heute im Naturkundemuseum in Stuttgart (Löwentor) aufbewahrt und sind Anziehungspunkt für viele Gastforscher aus aller Welt.

 

Die Häufung der Skelette konnte zunächst nicht zufriedenstellend geklärt werden. Waren die Kolosse in einem See ertrunken, beim Marsch durch eine Wüste verdurstet, oder in Schlammlöchern massenhaft steckengeblieben? Nach sieben Jahrzehnten kehrte ein (kleines!) Team von Paläontologen vom Naturkundemuseum zur Fundstelle zurück und legte mit Hilfe der örtlichen Behörden und des Heimatmuseums ein Profil frei. Dabei wurden nicht nur weitere Skelette und viele Einzelknochen gefunden, sondern auch viele Hinweise zur Entstehungsgeschichte der Fossillagerstätte zutage gefördert. Demnach wurden die 12 Meter Knollenmergel, welche die Skelette enthielten, über einen langen Zeitraum abgelagert – mindestens einige 100.000 Jahre. Von einer Katastrophe kann also nicht die Rede sein, es waren vielmehr Jahrhunderte zwischen jedem individuellen Tod der Plateosaurier vergangen. Dabei ist die Schlammloch-Hypothese in vielen Fällen wahrscheinlich, denn die Skelette sind in sitzender oder kauernder Haltung eingebettet, meist mit dem Gesäß am tiefsten im Gestein, und oft wurden Hals und Kopf von Raubtieren abgefressen, die ausgebissene Zähne als Indizien hinterließen. Die Schichten enthalten nicht nur Knochen, sondern auch Reste fossiler Wurzeln und Kalkknollen, die wiederholte klimatische Schwankungen zwischen subtropischen und sehr trockenen Phasen bezeugen - somit ist die Trossinger Fossillagerstätte zugleich ein 205 Mio. Jahre altes Klima-Archiv.